Christa Roth und Titus Müller teilen sich inhaltlich auf, jeweils abwechselnd:
Sie berichtet nach Begegnungen und Gesprächen mit Amnon Weinstein von dessen Leben, Familiengeschichte und Lebenswerk in knapper Form.
Er erzählt ausgeschmückt und in Romanform von 2 jüdischen Brüdern im KZ Dachau.
Was beide Erzählstränge verbindet? - Amnon Weinstein ist Geigenbauer in TelAviv und restauriert Geigen, die Juden gehörten und nach der Restaurierung in Konzerten gespielt an ihre Besitzer und die Qualen des Holocaust erinnern - während die Brüder Stani und Marek das KZ erleben und die Musik, das Geigespielen, für sie zum Überleben beiträgt.
Die Berichte von Christa Roth sind interessant. Sie bringen Amnon Weinstein und sein Lebenswerk dem Leser näher. Er und seine Frau haben im Holocaust viele Familienmitglieder und Freunde verloren. Sein Vater, ebenfalls Geigenbaur, kaufte dann später in Israel "deutsche Geigen" auf, die niemand haben wollte. Aber er und auch Amnon konnten diese Geigen und deren Geschichte zunächst nicht in ihr Leben lassen. Als Amnon dann die Geschichte dieser besonderen Geigen als Aussage für die Gegenwart und Zukunft entdeckt und für sich selbst zulassen kann, beginnt er mit der Restauration - und noch mehr: er entwickelt die Idee, diese Geigen wieder spielen zu lassen in dem Bewußtsein, dass ihr Lied nie verklingen darf als Mahnung und als Hoffnung.
Inzwischen gab es schon einige Konzerte weltweit mit den Violins of Hope. Dabei legt Amnon Wert darauf, dass die Aussage im Mittelpunkt steht und keine kommerziellen Zwecke.
Die Erzählung über die Brüder Stani und Marek Krol nimmt den Holocaust direkt in den Blick. Aus dem Ghetto werden sie ins KZ Dachau gebracht. Hautnah werden dem Leser teilweise unfassbare Gräuel der SS erzählt. Doch Marek hat Glück: nachdem er den Hass, die "spezielle" Aufmerksamkeit eines SS Offiziers auf sich gezogen hat und bei den Arbeitseinsätzen zusätzlich geschunden wird, kommt er durch glückliche Fügung als Geiger ins Lagerorchester. Ohne die schwere körperliche Arbeit steigt seine Chance zu überleben und er kann sogar seinen Bruder Stani an den zusätzlichen Rationen teilhaben lassen.
Man spürt aber in der Erzählung auch Mareks Zerrissenheit, weil er es besser als die anderen hat und weil das Orchester auf Geheiß der SS den grausamen Alltag im KZ mit fröhlicher Musik begleiten muss.
Kurz vor der Befreiung des KZ Dachau spitzt sich die Lage für die Brüder zu als eine Fleckfieberepidemie ausbricht und Marek erneut den Zorn des SS Offiziers auf sich lenkt.
Mein Eindruck
Das Leben und Lebenswerk von Amnon Weinstein auf der einen Seite und das (Über)Leben der Brüder Krol im KZ auf der anderen Seite. So gegensätzlich die Erzählart, so gegensätzlich auch der Inhalt und doch ist alles miteinander verwoben durch die Geschichte der Geigen.
Ich habe schon einige Bücher über die NS Zeit gelesen, einige über Erlebnisse im KZ, andere über Erlebnisse im Widerstand, etc. Aber dies Buch ist etwas ganz Besonderes, weil es die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet und die Wirkung in die Zukunft trägt.
Das Buch und sein Inhalt werden noch lange in mir nachklingen. Und es gibt einige Zitate, die mich besonders berührt haben:
S. 17 Wie immer, wenn ich aus Amnons Welt trete, muss ich das Gehörte erst gänzlich verarbeiten, bevor ich mich auf Neues einlassen kann. (Christa Roth) -> so geht es mir auch beim Lesen immer wieder!
S. 22 Es gilt, mumifizierte Gedanken aufzulösen, die Vergangenheit für die Dauer unserer Gespräche Gegenwart werden zu lassen. (Christa Roth)
S. 64 Mit fast 60 Jahren hat ihn seine Lebensaufgabe gefunden. (Christa Roth über Amnon Weinstein)
S. 68 Es sind die Musiker, die anders auf ihnen spielen, sobald sie die Geschichte hinter den Instrumenten kennen. Dadurch ergibt sich der besondere Klang, weil die Musiker 1000% geben, nicht 100! (Amnon Weinstein)
S. 70 "Am Ende", meint Amnon, "ist die Frage allerdings nicht, was wir mit dem Projekt machen, sondern was es mit uns macht."
S. 101 Die Musik erinnerte ihn an etwas. Sie erinnerte ihn an ihn selbst, zu einer Zeit, als er stark gewesen war. (Marek beim Konzert, das er im KZ hört über die Wirkung auf ihn)
S.124 Jede Violine erinnert an einen anderen Menschen, und wir dürfen ihr Vermächtnis nicht gering schätzen - egal in welchem Zustand sie ist oder von welcher Verarbeitung." (Amnon über den Wert der Geigen)
S. 189 Jeder war ein kleines Rad im Getriebe, nicht mehr, sie waren Ausführende einer höheren Gewalt und fühlten sich nicht verantwortlich. So hatte die SS die Strafen und sogar die Hinrichtung zu einer dienstlichen Routine bagatellisiert, ... (Marek in seinen Gedanken zur "Bürokratie des Todes", die die SS im KZ ausübte)
Das Cover/Die Aufmachung
Ich bin beeindruckt - die Geige auf dem Cover schimmer rötlich und das erinnert mich spontan an "das Blut das an ihr klebt" im übertragenen Sinne.
Das gefällt mir sehr gut!
Der Judenstern bringt die Verbindung zum jüdischen Leben, die Gleise die Verbindung zum KZ (wenn man weiß wovon das Buch handelt).
Was mir ein wenig fehlt ist ein Symbol für die Hoffnung.
Insgesamt dennoch ein gelungenes Cover! Und eine hochwertige Aufmachung mit Schutzcover um das Hardcover.
Die Autoren
Titus Müller, 1977 geboren, studierte Literatur, Geschichtswissenschaft und Publizistik in Berlin.
Christa Roth, freie Journalistin, Tel Aviv/Berlin/Stuttgart
- Preis 17,99 € (E Book 13,99 €)
- Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
- Verlag: adeo (11. Oktober 2016)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3863341171
- ISBN-13: 978-3863341176
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