Doch warum wurden diese Verbrecher, die so menschenverachtende Vernichtungsmaschinerien in Gang setzten überhaupt seelsorgerlich begleitet? Auch das hat der Autor recherchiert:
S. 14 " Aufgrund der Genfer Konvention haben Kriegsgefangene Anspruch auf seelsorgerliche Begleitung. Oberst Andrus, Kommandant des Nürnberger Gefängnisses, legte großen Wert darauf, für diesen Dienst zu sorgen. Während die Nationalsozialisten ihren Gegnern (fast) jegliche geistliche Begleitung auf dem letzten Weg verweigerten, war es für die Amerkikaner keine Frage, dafür Seelsorger bereitzustellen."
Wichtig ist dem Autor aber auch die Motivation Gereckes zu beleuchten indem er von dessen Herkunft und bisherigem Berufsweg erzählt.
Neben Gerecke gab es auch noch einen katholischen Seelsorger. Und auch Andrus, der Gefängnisleiter, wird in den Blick genommen.
Gerecke und sein Kollege O Connor begleiten die Nazis während der Gefangenschaft bis zur Urteilsverkündung. Es gibt 11 Todesurteile, 7 Gefängnisstrafen und einige Freisprüche. Sie begleiten die Nazis mit Todesurteil dann auch bis an den Galgen und deren Familien teilweise auch darüber hinaus.
Ganz wichtiger Aspekt: Gerecke will beide Seiten kennenlernen: das was die Nazis ihm erzählen, aber auch das was das Gericht ihnen vorwirft und an Beweisen vorlegt. Dass er deshalb neben den regelmäßigen Besuchen bei den Gefangenen auch im Gericht sitzt, das finde ich großartig. Und er findet Zugang zu einigen von ihnen, kann sie zu Andacht und Bibelarbeit bringen
Dabei werden die Begleitumstände des Prozesses, bspw. die monatelange Dauer und die damit verbundenen organisatorischen Herausforderungen ebenso nahegebracht wie die Lebensumstände im Nachkriegsdeutschland. Die Greueltaten werden teilweise sehr detailliert beschrieben. Die Funktionen der Nazis und die Entscheidungsstrukturen erläutert. Und auch von den Familien der Nazis wird erzählt - von ihrer Herkunkft biografisch aber auch von dem Umgang ihrer Frauen und Kinder mit dem Prozeß.
Im Zusammenhang mit den Hinrichtungen sind einige Ausführungen zu Vergebung und Versöhnung, hergeleitet aus dem Judentum und Christentum, eingefügt worden.
Das Buch endet schließlich mit dem weiteren Lebensweg Gereckes nach dem Prozeß bis zu seinem eigenen Tod.
Persönlicher Eindruck
Gereckes Motivation und Einschätzung der Nazi-Größen, der Wandel der dargestellt wird, die Nähe des Erzählens - das alles macht das Buch aus meiner Sicht zu einem sehr wichtigen Instrument, die Nazi-Verbrechen nicht zu vergessen - und daneben auch einen Bogen zu spannen zu dem "Mensch hinter dem Verbrecher".
S. 25 "Dies war der eigentliche Grund, warum Gerecke den Auftrag in Nürnberg angenommen hatte. Hier waren Männer, die dem christlichen Glauben den Rücken gekehrt hatten in dem Wahn, dass am von den Nazis gereinigten deutschen Wesen die Welt genesen würde. Sie hatten den in den Zehn Geboten formulierten Bund mit Gott gebrochen, und Gerecke glaubte, dass es seine Pflicht als Pastor und Seelsorger war, diesen Seelen Erlösung zu bringen und so viele dieser Nazi-Größen, wie er konnte, vor ihrer Hinrichtung zum Glauben zu bringen."
Ein steiles Argument, das mich als Leserin herausfordert - Gedanken, die auch Gerecke hatte, nämlich ob es wirklich Vergebung für solche Greueltaten gibt, ob Menschen durch ihr Tun den Anspruch auf Vergebung verlieren können, ob und wie man nach solchen Taten wirklich aufrichtig zum Glauben und einem Christsein zurück kehren kann.
Ob die Nazis wirklich reumütig zum Glauben zurückkehrten oder Gerecke etwas vorspielten, das kann der Leser nicht einschätzen. Gerecke prüft die Gläubigkeit aus seiner Sicht sehr akribisch bevor er das Abendmahl mit demjeinigen feiert.
Die Beschreibungen sind detailliert und nachvollziehbar. Teilweise fühlte ich mich in die Zeit zurück versetzt.
Aber manchmal springt die Erzählung zu sehr, was (so vermute ich) wohl daran liegt, dass der Autor die Erzählungen wiedererzählt: ihm wurde alles von Gereckes Kindern und Enkeln erzählt.
Die Durchführung der Erhängungen - mit den wohl absichtlich herbei geführten Gesichtsverletzungen bei den Nazis durch das Aufschlagen an den Fall-Luken. Einerseits kann ich ein wenig verstehen, dass dem einen oder anderen der "normale" Erhängungstod nicht qualvoll genug erschien für diese Männer - andererseits frage ich mich, womit Menschen solche Quälerei verdient haben. Ich bin da ehrlich etwas zwiegespalten. Die Männer habe ich nicht so sehr bedauert um das Urteil - wohl aber um die Durchführung der Erhängung, die eben absichtlich brutal durchgeführt wurde.
Wertvoll fand ich die Ausführungenn zu Vergebung und Versöhnung, hergeleitet aus dem Judentum und Christentum.
Das Cover und AufmachungHochwertiges Hardcover mit Schutzumschlag ohne Lesebändchen.
Die Gestaltung ist sachlich, trist - und das ist absolut passend zum Thema des Buches.
Zum Autor (laut Amazon)Tim Townsend: Tim Townsend hat an der Columbia Universität und an der Yale Divinity School Journalismus studiert, für das Wall Street Journal, die New York Times, den Rolling Stone und andere Publikationen geschrieben und wurde mehrfach als "Religion Reporter of the Year" ausgezeichnet. Er ist Autor und Herausgeber beim Pew Research Center, einem Meinungsforschungsinstitut in Washington, D.C.
- Gebundene Ausgabe: 400 Seiten 29,95€
- E-Book 17,99€
- Verlag: SCM Hänssler; Auflage: 1 (17. August 2016)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3775156348
- ISBN-13: 978-3775156349
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen