Zum InhaltDer Autor nimmt die Begegnungen und Begleitungen
der hochrangigen Nazi-Verbrecher beim Nürnberger Prozeß durch den
amerikanischen Militärseelsorgers Henry Gerecke in den Blick.
Doch
warum wurden diese Verbrecher, die so menschenverachtende
Vernichtungsmaschinerien in Gang setzten überhaupt seelsorgerlich
begleitet? Auch das hat der Autor recherchiert:
S. 14 " Aufgrund der Genfer Konvention haben Kriegsgefangene Anspruch
auf seelsorgerliche Begleitung. Oberst Andrus, Kommandant des Nürnberger
Gefängnisses, legte großen Wert darauf, für diesen Dienst zu sorgen.
Während die Nationalsozialisten ihren Gegnern (fast) jegliche geistliche
Begleitung auf dem letzten Weg verweigerten, war es für die Amerkikaner
keine Frage, dafür Seelsorger bereitzustellen."
Wichtig ist
dem Autor aber auch die Motivation Gereckes zu beleuchten indem er von
dessen Herkunft und bisherigem Berufsweg erzählt.
Neben Gerecke gab es auch noch einen katholischen Seelsorger. Und auch Andrus, der Gefängnisleiter, wird in den Blick genommen.
Gerecke
und sein Kollege O Connor begleiten die Nazis während der
Gefangenschaft bis zur Urteilsverkündung. Es gibt 11 Todesurteile, 7
Gefängnisstrafen und einige Freisprüche. Sie begleiten die Nazis mit
Todesurteil dann auch bis an den Galgen und deren Familien teilweise
auch darüber hinaus.
Ganz wichtiger Aspekt: Gerecke will beide
Seiten kennenlernen: das was
die Nazis ihm erzählen, aber auch das was das Gericht ihnen vorwirft und
an Beweisen vorlegt. Dass er deshalb neben den regelmäßigen Besuchen
bei den Gefangenen auch im Gericht sitzt, das finde ich großartig. Und
er findet Zugang zu einigen von ihnen, kann sie zu Andacht und
Bibelarbeit bringen
Dabei werden die Begleitumstände des
Prozesses, bspw. die monatelange Dauer und die damit verbundenen
organisatorischen Herausforderungen ebenso nahegebracht wie die
Lebensumstände im Nachkriegsdeutschland. Die Greueltaten werden
teilweise sehr detailliert beschrieben. Die Funktionen der Nazis und die
Entscheidungsstrukturen erläutert. Und auch von den Familien der Nazis
wird erzählt - von ihrer Herkunkft biografisch aber auch von dem Umgang
ihrer Frauen und Kinder mit dem Prozeß.
Im Zusammenhang mit den Hinrichtungen sind einige Ausführungen zu Vergebung und Versöhnung, hergeleitet aus dem Judentum und Christentum, eingefügt worden.
Das Buch endet schließlich mit dem weiteren Lebensweg Gereckes nach dem Prozeß bis zu seinem eigenen Tod.
Persönlicher EindruckGereckes
Motivation und Einschätzung der Nazi-Größen, der Wandel der dargestellt
wird, die Nähe des Erzählens - das alles macht das Buch aus meiner
Sicht zu einem sehr wichtigen Instrument, die Nazi-Verbrechen nicht zu
vergessen - und daneben auch einen Bogen zu spannen zu dem "Mensch
hinter dem Verbrecher".
S.
25 "Dies war der eigentliche Grund, warum Gerecke den Auftrag in
Nürnberg angenommen hatte. Hier waren Männer, die dem christlichen
Glauben den Rücken gekehrt hatten in dem Wahn, dass am von den Nazis
gereinigten deutschen Wesen die Welt genesen würde. Sie hatten den in
den Zehn Geboten formulierten Bund mit Gott gebrochen, und Gerecke
glaubte, dass es seine Pflicht als Pastor und Seelsorger war, diesen
Seelen Erlösung zu bringen und so viele dieser Nazi-Größen, wie er
konnte, vor ihrer Hinrichtung zum Glauben zu bringen."Ein steiles
Argument, das mich als Leserin herausfordert - Gedanken, die auch
Gerecke hatte, nämlich ob es wirklich Vergebung für solche Greueltaten
gibt, ob Menschen durch ihr Tun den Anspruch auf Vergebung verlieren
können, ob und wie man nach solchen Taten wirklich aufrichtig zum
Glauben und einem Christsein zurück kehren kann.
Ob die Nazis wirklich reumütig zum Glauben zurückkehrten oder Gerecke etwas vorspielten, das kann der Leser nicht einschätzen. Gerecke prüft die Gläubigkeit aus seiner Sicht sehr akribisch bevor er das Abendmahl mit demjeinigen feiert.
Die Beschreibungen sind detailliert und nachvollziehbar. Teilweise fühlte ich mich in die Zeit zurück versetzt.
Aber
manchmal springt die Erzählung zu sehr, was (so vermute ich) wohl daran
liegt, dass der Autor die Erzählungen wiedererzählt: ihm wurde alles
von Gereckes Kindern und Enkeln erzählt.
Die Durchführung der Erhängungen - mit den wohl absichtlich herbei
geführten Gesichtsverletzungen bei den Nazis durch das Aufschlagen an
den Fall-Luken. Einerseits kann ich ein wenig verstehen, dass dem einen
oder anderen der "normale" Erhängungstod nicht qualvoll genug erschien
für diese Männer - andererseits frage ich mich, womit Menschen solche
Quälerei verdient haben. Ich bin da ehrlich etwas zwiegespalten. Die Männer habe ich nicht so sehr bedauert um das Urteil - wohl aber um
die Durchführung der Erhängung, die eben absichtlich brutal durchgeführt
wurde.
Wertvoll fand ich die Ausführungenn zu Vergebung und Versöhnung, hergeleitet aus dem Judentum und Christentum.
Das Cover und AufmachungHochwertiges Hardcover mit Schutzumschlag ohne Lesebändchen.
Die Gestaltung ist sachlich, trist - und das ist absolut passend zum Thema des Buches.
Zum Autor (laut Amazon)Tim Townsend: Tim Townsend hat an der Columbia Universität und an der
Yale Divinity School Journalismus studiert, für das Wall Street Journal,
die New York Times, den Rolling Stone und andere Publikationen
geschrieben und wurde mehrfach als "Religion Reporter of the Year"
ausgezeichnet. Er ist Autor und Herausgeber beim Pew Research Center,
einem Meinungsforschungsinstitut in Washington, D.C.
- Gebundene Ausgabe: 400 Seiten 29,95€
- E-Book 17,99€
- Verlag: SCM Hänssler; Auflage: 1 (17. August 2016)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3775156348
- ISBN-13: 978-3775156349